Boofen am 4000er
Was tun, damit die beim Reiseservice Afrika gebuchte Tour zum Kilimanjaro auch mit einiger Sicherheit ein Erfolg wird? Sie wird technisch keine Probleme bereiten, aber die Höhe hat schon manchen scheitern lassen, der mal so auf die Schnelle dem Dach Afrikas zuleibe rücken wollte. Ich entscheide mich für eine intensive Vorbereitung in den Alpen, studiere Goedekes "4000er - Die Normalwege" und halte den Gran Paradiso für am meisten geeignet. Er muß von unten bis oben mit eigener Kraft bewältigt werden, bietet technisch kaum Probleme und - für mich als Solist am wichtigsten - droht nicht mit gefährlichen Gletscherspalten. So fahre ich bereits mit vollem Gepäck für die Afrika-Tour erst einmal für eine Woche ins Aosta-Tal und weiter über das Valsavaranche zum Ausgangsort Pont.

Der Rucksack drückt mächtig, denn ich habe für eine Woche Biwak alles bei mir. Wenn nur das Wetter mitspielt. Werde ich einen geeigneten Platz fürs Freibiwak finden? Mit solchen Gedanken im Hinterkopf erreiche ich - im einsetzenden Nieselregen - die futuristische Hütte "Rifugio Vittorio Emanuele". Bei diesem Wetter gibt es wenigstens kein Problem mit der Übernachtung. Der nächste Tag bringt zum Glück Wetterbesserung, und ich mache mich auf die Suche nach einem Biwakplatz. Ich steige den riesigen Moränenwall über der Hütte empor und bin sogleich mutterseelenallein im Moränenbecken zwischen Gran Paradiso und Ciarforon. Und was ich kaum zu hoffen wagte: Am Sockel des Gran Paradiso finde ich den idealen Biwakplatz schlechthin. Ein überdachtes Band in 8 m Höhe, nur durch leichte Kletterei zu erreichen, bietet besten Komfort. Im "Schlafzimmer" ist im Felsen ein Ein-Mann-Bett mit den Maßen meiner Isomatte eingepaßt, daneben gibt es Platz für meine Küche, und ein blumengeschmückter Balkon mit Aussicht auf La Tresenta, Ciarforon und Becca di Monicair fehlt auch nicht. Unten gibt es meine Wasserleitung, wo ständig Trinkwasser aus der Wand sprudelt. Und der Clou - ich habe ein eigenes Bad: Ein kleiner, nabeltiefer See, durch einen kleinen Wall blickgeschützt und von einem kleinen Restschneefeld mit Wasserzulauf versorgt.

Nachdem ich mich hier auf ca. 3000 m häuslich eingerichtet habe, erkunde ich in den nächsten Tagen die Gegend, steige auch schon mal bis zum Plateau am Gran Paradiso auf, um die untere Blockzone, die ja beim Aufstieg noch im Dunklen durchquert wird, zu erkunden, beobachte von meinem Balkon aus oft die hier geschützten und gar nicht scheuen Steinböcke und genieße ansonsten die absolute Ruhe in "meinem" Tal. Ich komme allmählich in den inneren Ruhezustand, den verschieden Religionen durch Meditation erreichen. Das führt zu Gedanken über sich selbst und die Position in der umgebenden Welt, zu denen man im Alltagsstreß kaum kommt. Und man nimmt vor allem die Natur in vollen Zügen auf.

Der Aufstieg zum Gran Paradiso (4061 m) beschert ein sehr schönes Erlebnis. Obwohl relativ viele Leute unterwegs sind (man kann in der Hütte sogar Steigeisen ausleihen, falls man schlecht ausgerüstet ist), kommt es erst am Gipfel zu einer größeren Ansammlung. Alle halten sich hier länger auf, denn mit seinem Erreichen eröffnet sich eine faszinierende Aussicht über die berühmten Westalpengipfel, vom Barre des Ecrins über Mont Blanc, Gran Combin, Weißhorn, Matterhorn bis hin zum Monte Rosa. Einfach traumhaft.

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Der Versuch, den formschönen Ciarforon zu besteigen, scheitert in einer steile Eispassage unter der Schulter. Sie erweist sich für mich als Solist ohne Sicherung als zu riskant, denn schließlich will ich mein Hauptziel Kilimanjaro nicht gefährden. Aber dafür belohnt der Aufstieg auf die La Tresenta (3609 m) noch einmal mit einer Superaussicht auf den gegenübeliegenden Gran Paradiso. Ich kann die kleinen Pünktchen der heutigen Begeher auf dem dicken Eispanzer erkennen.

Ich fühle mich gut, glaube, mein Möglichstes für das Erreichen des 5895 m hohen Hauptes Afrikas getan zu haben. Wird das reichen? Also, via München auf zum Äquator!